30
Jan
2015

Das Interview

Gestern habe ich mir den Film "Die Frau des Zeitreisenden" angesehen, das Buch habe ich schon vor Jahren gelesen und fand die filmische Umsetzung nicht so schlecht, aber dabei kam mir eine Idee..wie wäre es, wenn man sich selbst interviewen würde? Anders ausgedrückt, wenn man dem Kind ( so zwischen 6 und 12 Jahren ), das man mal war, Rede und Antwort steht. Und zwar als die Person, die man heute ist. Haben sich Träume und Wünsche erfüllt? Was wurde aus einem/einer im Laufe der Zeit, was hat man erlebt, was ging schief, wer ist man jetzt? Eben so eine Art Zwischenstand
in Form von Fragen beantworten..okay...

Hallo M..

Du bist jetzt 42, laut Douglas Adams, besitzt Du jetzt zahlentechnisch die Antwort auf alle Fragen nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest..

Ja, Du hast Dich eigentlich ganz gut gehalten, siehst jetzt nicht so schlecht aus, aber die ersten Falten um die Augen machen sich schon leicht bemerkbar.

Und nun ja, Du färbst jetzt auch Deine Haare, wenn auch erst mal nur in Form von Strähnchen, ein bisschen eitel warst Du ja schon immer, wobei Du damals, als Du mit sechs Jahren Dich das erste mal mit Mum's Make-up geschminkt hast, Du eher aussahst, als wärst Du die Tochter des Jokers aus "Batman"..erst mit Beginn der Teenagerzeit hast Du das Gespür dafür bekommen, dass Lippen auch Konturen haben, die man nicht übermalen sollte...

Und nein, leider hast Du weder Chris Norman von der Gruppe Smokie, noch Shakin' Stevens oder den Sänger von a-ha ( Morten Harket )geheiratet, auch wenn Du von allen dreien einen Bravo-Starschnitt hattest und Du sogar wegen Morten ein paar Brocken Norwegisch gelernt hast.( den Satz: Da steht ein Elch im Wald / Det er baren en elk i skugen..kannst Du übrigens heute noch )

Geheiratet hast Du aber schon und zwar eigentlich wie und wen Du Dir gewünscht hast..ja, es war wirklich ein Rheinländer, das war damals ein grosser Wunsch von Dir, nachdem Du immer das "Colonia Duett" beim Kölner Karneval angesehen hast..und Du hast auf eine besondere Art geheiratet, zwar bist Du nicht - wie ursprünglich geplant - direkt nach der kirchlichen Trauung im Brautkleid ins Taxi gestiegen und an den Flughafen Frankfurt gefahren..weil Du hofftest, in dem Aufzug könntest Du erster Klasse fliegen..

Nein, Du hast Dir den Verlobten geschnappt und bist gleich nach Schottland und hast da "ja" gesagt..dem hiesigen Standesbeamten hast Du damit ganz schön ins Schwitzen gebracht, er hat einige Male versucht, Dich umzustimmen, damit Du hier heiratest und eben Deinen Honeymoon in Schottland erlebst..Aber Deine Sturheit, wenn Du etwas unbedingt willst, hast Du bis heute nicht abgelegt...

Die Hochzeit war toll, auch wenn keine Familienmitglieder anwesend waren, aber so habt Ihr beiden es gewollt, denn Ihr hattet die Einstellung, dass bei einer herkömmlichen Feier das Brautpaar irgendwie zu kurz kommt und Dich grauste es sowieso davor, durch einen Spalier von Feuerwehrleuten oder anderen auffälligen Berufszweigen aus der Kirche zu laufen...da war die Zweisamkeit wesentlich besser..und die Jahre danach waren eigentlich auch schön, für eine gewisse Zeit wart Ihr ein eingespieltes Team...

Allerdings trägst Du inzwischen keinen Ehering mehr, den hast Du vor 5 Jahren abgelegt. Eure Scheidung war aber sehr friedlich, und der Kontakt wurde im beiderseitigen Einverständnis komplett gekappt. Auch wenn es schon ein wenig schmerzvoll war..

Nein, Kinder hattet Ihr keine, leider hast Du also keinen Aaron bekommen, aber Du lächelst zumindest immer noch, wenn Du den Namen irgendwo hörst..Und komischerweise hast Du bis heute keinen blassen Schimmer, wie Du denn ein Mädchen genannt hättest...:-)

.Aber immerhin hattet Ihr beiden fast zehn Jahre eine ganz gute Ehe geführt, aber dann kam bei Dir eben wieder dieser Freiheitsgedanke durch, den Du schon als Kind hattest.
Und Du hast Dir damals schon, ich weiss nicht wie oft, gewünscht, nicht immer unter Beobachtung zu stehen, sondern mal nur für Dich verantwortlich zu sein.
Du musstest also gehen, weil Dein Partner zwar Deinen Freiheitsdrang verstand, aber er wollte gebraucht werden und darüber hinaus nicht für den Rest seines Lebens nur noch der beste Freund sein..also trennten sich Eure Wege..

Das gluckenhafte Bemuttern, das "über Deinen Kopf hinweg Entscheiden", was es damals immer gab, besteht heute eigentlich nicht mehr. Denn leider starb Dein Vater 2013 an Krebs, er schlief ganz friedlich am 1. Januar ein und Deine Mutter ist heute ein Pflegefall, es ist sogar jetzt also so, dass Du Dich nun kümmerst und manchmal auch gluckenhaft bist und erst jetzt kannst Du so langsam verstehen, wie es ist, Sorgen um jemand zu haben und merkst dabei, dass es damals kein böswilliges Verhalten Deiner Familie war, sie wollten einfach nur, dass es Dir gutgeht..

auch wenn sie oft "vergessen" haben, Dich zu fragen, was Du möchtest, oder Dich nicht in ihrem Handeln miteinbezogen ..Es war okay so, glaube mir, Du hast es überlebt..Du warst überhaupt ein kackfrecher, zickiger Teenager, hast Deine Jungfräulichkeit mit knapp 17 Jahren verloren, Du hast damals sogar triumphiert, denn Du standest eigentlich auf Platz 4 der "wer macht es zuerst"-Liste, die Du mit drei Freundinnen während einer der berühmt- berüchtigten 80er-Jahre Baggersee-Nacht-Parties erstellt hast..


Ja, Gefeiert hast Du viel und kamst meist morgens erst um sechs oder sieben nach Hause...mit knapp 18 bist Du dann für zwei Tage mit einer holländischen Männer-Strip Gruppe mitgefahren, ohne zu Hause Bescheid zu sagen, Du wurdest polizeilich gesucht und hattest trotz Volljährigkeit drei Monate Hausarrest..Aber das war die Sache wert..


Dann kam mit 21 Jahren der härteste Einschnitt in Deinem Leben, aber dazu erstmal die gute Nachricht, ja, der Buckel, den Du seit Deiner Geburt aufgrund Deiner Behinderung hattest und furchtbar fandest, ist nicht mehr da, aber dafür kam ein anderes Hilfsmittel hinzu, was Dir wohl bis zum Rest Deines Lebens erhalten bleiben wird. Ein Rollstuhl.
Eine Wirbelsäulen-Op, die damals dringend notwendig war, klappte nicht so, wie gewünscht..Du hattest Hoffnungen in diesen Eingriff gesetzt, nicht nur, dass Dein Buckel endlich verschwinden sollte, Du wolltest auch grösser werden..naja ein paar Zentimeter sind es zwar wirklich geworden, aber kleiner als eine Parkuhr bist Du trotzdem noch..

Du hast 8 Wochen lang nach dem Eingriff wirklich jeden Tag daran gedacht, Deinem Leben ein Ende zu setzen..Du warst dabei wirklich kreativ, es lag vielleicht auch daran, dass Du damals viel "MacGyver" gesehen hast, der konnte ja aus einer Büroklammer und einem Filzstift eine Panzerfaust bauen..aber je länger es dauerte, wurde Dir bewusst, dass es feige sein würde, einfach aufzugeben..Das wärst nicht Du gewesen, weder damals noch jetzt..

Und doch hat es gut drei bis vier Jahre gedauert, bis Du Dich wieder unter Menschen getraut hast, machtest erneut Deinen Führerschein, hast Dir ein Auto gekauft..Deine erste Fahrt war übrigens zum Supermarkt und Du hast fast eine Stunde im Wagen gesessen, bist Du soweit warst, den Rolli auszuladen und die Packung Miracoli zu kaufen, die Du eigentlich gar nicht gebraucht hast..(Denn Du kannst inzwischen so gut kochen, dass es kein Magenauspumpen mehr als Dessert gibt...)

Eigentlich hat Dir Dein Glaube in dieser Zeit dabei viel geholfen, und auch wenn Du bis heute einiges an hochgeistiger und theologisch-wissenschaftlicher Literatur gelesen und mitbekommen hast, Gott ist für Dich immer noch der bärtige Mann mit den Birkenstock-Dingern und dem Bettlaken..Ja, Du redest immer noch mit ihm..manchmal bist Du spirituell fremdgegangen, hast Dich sogar eine Zeitlang mit Tarot und Pendeln beschäftig, aber wenn die Kacke bei Dir am Dampfen war ( und auch noch ist ), dann sitzt Du immer noch am Bettrand und redest mit ihm, interessanterweise machst Du jetzt inzwischen dazu das Kreuz, weil Du denkst, es sei eine Türklingel...Er ist nach wie vor ein wichtiger Stützpfeiler in Deinem Leben...Und mit 9 Jahren hat man Dir übrigens erklärt, dass Maria keinen Affen hatte, sondern dass es "Ave Maria" hiess..
aber das nur am Rande..

Nein, auch wenn Du ziemlich grosse Stücke auf ihn hälst, gehst Du trotzdem nicht in die Kirche, zumindest zu keinen Messen, Du fühlst Dich wohler, wenn Du dort beinahe alleine bist..Aber inzwischen hast Du einen Geschmack für Kirchenmusik bekommen und Du durftest erleben, dass ein Kirchenchor sehr schön klingen kann und eben kein Hort ist für mittelgescheitelte Hornbrillenträger und geduttete Faltenrockbesitzerinnen, der sich frömmelnd einen langweiligen Wolf singt..

Sport machst Du inzwischen ganz gerne, aber leider musst Du immer wieder pausieren, weil Dein Körper hin und wieder mehr Ruhe braucht, als früher, das ärgert Dich, aber es ist nun mal so..und Du hast immer noch Angst vor Operationen, obwohl Du inzwischen schon 34 über Dich ergehen lassen musstest..Jetzt am Freitag ( der 13!!! nein, abergläubisch bist Du eigentlich nicht, ausser die Sache mit der schwarzen Katze macht Dich nervös ) musst Du erneut unters Messer, ja Du hast schon eine Scheissangst davor, aber Du kommst nicht drumrum, aber Deine Behinderung trägt dazu bei, dass alle OP-Beteiligten besonders auf Dich aufpassen, es wird also schon irgendwie klappen..

Tja Dein Optimismus und Deine Liebe zu Sofakissensprüchen ist Dir bis heute erhalten geblieben, und ironisch bist auch geworden, manchmal schiesst Du auch übers Ziel hinaus und kannst schon mal ein wenig fies werden, trägst aber dann die Konsequenzen, entschuldigen kannst Du Dich inzwischen auch.

Allerdings fällt Dir das Pflegen von Freundschaften nicht so leicht, manchmal tauchst Du einfach ab, ohne ein Wort..

Du nennst es inzwischen Rückzüge und kündigst das -zumindest manchmal- vorher an..Du hast irgendwann mal gesagt, wenn man mit Dir befreundet sein möchte, dann kann es einem so gehen, wie den Pflanzen auf Deiner Fensterbank, wenn man nicht ständig Giesswasser und Düngemittel verlangt und trotzdem dabei nicht welk wird, und dann sind das ideale Voraussetzungen für eine langanhaltende Freundschaft.

Aber wenn es drauf ankommt, dann bist Du für andere da und kannst auch gut zuhören, das hast Du in den letzten Jahren gelernt..

Aber bist Du auch zwischendurch auch etwas unnahbar, oder besser gesagt, Du gibst Dich oftmals cooler, als Du es in dem Moment tatsächlich bist..Wobei Du aber dann auch im Gegenzug Schwächen hin und wieder zugeben kannst..

Stell Dir also einfach vor, wie es damals war, als Du mal über einen Baumstamm balanciert- und nicht ins Wasse gefallen bist..heute ist das noch so ähnlich, okay über Baumstämme kommst Du zwar jetzt nicht mehr, aber selbst wenn Du Dich in die Kacke reinreitest, kommst Du irgendwie da auch wieder raus..okay, auch wenn es heute etwas länger dauert, weil das Nachdenken hinzugekommen ist, aber so schlimm ist das nicht, zumindest ist es erfolgreicher, als Deine kläglichen Versuche, Mathematik und Physik zu verstehen, das ist Dir bis heute nicht gelungen..wird sich auch nicht ändern, wenn ich Dir kurz vor Deiner Rente nochmal schreibe..bisschen Schwund ist ja immer....

Schlaf gut, und bitte änder jetzt nix an Deinem Leben, war schon gut so, wie es wurde..
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