15
Mrz
2015

Danach

Jetzt ist es fast vier Wochen her, dass ich das letzte Mal hier geschrieben habe. Und wie man jetzt lesen kann, habe ich die Operation wirklich überlebt ( wenn das nicht der Fall gewesen wäre, dann hätte der Begriff "Ghostwriter" eine zusätzliche Bedeutung gewonnen )

Ja überlebt hab ich es, und die von mir so gefürchtete Narkose war diesmal die beste, die ich je hatte.
Der Ankunftszeitraum vor der OP hatte was von " wir treiben das gesetzliche Krankenkassenvieh" zusammen..Ich liess mich mit einem Rollstuhltaxi nach Tübingen fahren, entspannen konnte ich dabei nicht, zum einen weil ich sehr aufgeregt war und zum anderen, weil der Chauffeur ein sehr starkes Mitteilungsbedürfnis hatte, besser gesagt, er kaute mir das Ohr ab, wenn es wenigstens interessant gewesen wäre, aber es war eine 56 minütige Schelte auf das Leben insgesamt und dessen "Eingeborenen" die sicherlich das zweifelhafte Vergnügen hatten, versehentlich den Lebensweg des Taxilenkers zu kreuzen.

Ich habe selten jemanden erlebt, der so vom Leben angepisst war und er selbst hielt sich für ein Geschenk Gottes..passiert wohl als Gratisbeigabe, wenn man zuerst evangelische Theologie studiert und sich aber dann dazu entschliesst, wehrlose Gehandicappte durch die Gegen zu transportieren.

Jedenfalls war ich kurz davor, meine jahrelange gut gehegte Heterosexualität gegen eine Lesbenphase einzutauschen, wenn die Fahrt noch länger gedauert hätte. Natürlich hätte ich auch ein - von der AOK gesponsertes - " Würden Sie bitte die Klappe halten"
von meinem angeschnallten Platz nach vorne zum Fahrersitz rufen können, aber ich wollte ohne bösen Worte meinem eventuellen Narkose-Tod entgegentreten..


Aber wenigstens gab es keine Staus und gegen 09.00 Uhr waren wir endlich an der Klinik.

Nach einer kurzen Wartezeit wurden ich mit fünf Frauen in einen Wartebereich zusammengepfercht ( hatte wirklich etwas von Schlachtvieh, weil wir nichts mehr zu essen und trinken bekamen, da ja eine nach der anderen in den anschliessenden Stunden unters Messer kam ).

Es gab Smalltalk unter den Damen, der ein wenig in einen Wettbewerb ausartete mit dem Titel "Wer hat die schlimmste Krankenhaus-Erfahrung bislang gemacht". Ich glaube, ich wurde zweite, hinter einer Dame, die ein Nahtoderlebnis während einer Gallen-OP hatte, allerdings hatte ich verschwiegen, dass dies meine 35. Operation war, ich wollte ja nicht angeben..dazu war ich viel zu nervös..

Punkt elf Uhr wurde mein Name aufgerufen, ab ins Patienten-Zimmer, ausziehen und dann mit Flügelhemdchen ins Bett..und warten..ich strich über die Stelle unter der meine Riesengebärmutter auf ihre Entfernung wartete, das war so unwirklich, bald ist sie weg, dachte ich....dann kam wirklich die Angst..ich hörte das Geräusch von laufenden Stöckelschuhen draussen auf dem Flur, dann ein Lachen und Gespräche...

ich wäre gern mit der Stöckelschuhfrau mitgegangen und hätte mit an dem Gespäch beteiligt, egal wie belanglos oder fachchinesisch-technisch es auch gewesen wäre, schliesslich hatte ich ja eine Stunde zuvor die Pseudo SED-Parteitagsrede meines Beinahe-Taxi-Pastors überstanden..ich wollte nur weg vom Flügelhemd und vom OP-Saal...selbst wenn ich 48 Eingriffe davor gehabt hätte, daran gewöhnt hab ich mich nie.

Ich habe diese Urangst nicht mehr aufzuwachen, egal wie lange die anwesenden Anästhesisten studiert haben und fachlich sehr kompetent sind....es ist dieses Ausgeliefert sein, was mir jedes Mal immense Angst macht..

Dann wurde ich in den OP Bereich geschoben..ich begann zu zittern und zu weinen, ich konnte nicht dagegen ankommen..aber das wurde schnell bemerkt und schon kam ein Pfleger neben mein Bett, und begann mich zu streicheln und eine warme Decke auf mich zu legen, wirklich beruhigt hat mich das nicht, aber im Rahmen meiner zittrigen Möglichkeiten fand ich es schön..

es ging dann weiter in den OP Saal, es war kalt und überall grüne Maskenmenschen..dann trat eine junge Ärztin neben mich, die Narkose-Frau mit Ostblock-Akzent..habe kurz in meiner Angst überlegt, ob ich ein "Putin wird vom Westen viel zu negativ dargestellt" noch sagen sollte..konnte aber den Gedanken nicht zu Ende bringen, denn kurz nach dem Auflegen der Maske war ich auch schon weg..im nächsten Moment schlug ich wieder die Augen auf..naja, im nächsten Moment war das nicht, es waren real 5 Stunden vergangen, doch dank Propofol können wohl auch drei Tage vergehen und Du empfindest es trotzdem nur als drei Sekunden..

Wachstation..eine kleine Armada von Schläuchen steckten an und in mir..durch einen Cocktail von Schmerz- und Narkosemitteln ging es mir erstaunlich gut und ich war recht fit..habe sogar Selfies gemacht ( Smartphone und MP3 Player durfte man legal im Kulturbeutel dorthin schmuggeln )...Ich hatte das Glück, dass ein Pfleger, der aussah, wie Dirk Bach, eine Ahnung hatte, dass Rollstuhlfahrer alle zwei Stunden nach Eingriffen gedreht werden mussten, um nicht wund zu werden..ich strich erneut über die nun operierte Stelle, ich konnte eine nach unten gewölbte Delle spüren..sie war tatsächlich weg und ich lebte noch..zu den Klängen von Pink Floyd's "Wish you were here" schlief ich dann - ganz ohne Propofol und Ausgeliefertsein auf eigene Entscheidung ein...

Allerdings machte ich am nächsten Tag einen Fehler, ich habe normale Kost gegessen, ich hatte tierischen Hunger...mein Darm konnte das noch nicht händeln..und zwei Tage später hatte ich einen Darmverschluss im Anfangsstadium..ich bekam zunächst eine Magensonde, grässsliches Teil, und das Einführen über die Nase war wirklich nicht prickelnd..Panik, wollte schreien, durfte aber nur atmen, eine Schwester hielt mir die Hand, dann war das Ding drin..fühlte sich an, als hätte jemand ein nacktes Wattestäbchen in meinen Rachenraum gerammt, Magen- und Darminhalt fanden dann sofort über die Sonde einen Weg nach draussen...das war echt merkwürdig, dabei zuzusehen..zweieinhalb Liter im Sondenbeute später, war ich erneut in einem OP Saal, wieder Eingriff, aber diesmal sehr klein, von kurzer Dauer und erfolgreich..

Danach 5 Tage Bett, hatte viel Zeit zum Nachdenken..wurde gepflegt und stellte fest, dass man als Rollstuhlfahrer verdammt hilflos ist, wenn Du nur flach liegen darfst..wieder war dieses Gefühl des Ausgeliefertseins da..aber diesmal war es nicht die Angst, die mich beherrscht hatte, sondern Scham..auch wenn alle Schwestern wirklich ausgesprochen lieb waren..

es ist einfach ein peinliches und unangenehmes Gefühl, wenn eine fremde Person Deine Körperpflege übernehmen muss und da kamen auch die Gedanken "Wie wird das mal später sein, wenn meine Kräfte nicht mehr ausreichen, und ich permanent Hilfe brauche, was ist dann mit meiner Würde, meiner Selbstbestimmung, kann ich diese dann trotzdem noch wahren? Welchen Sinn hätte dann noch das Leben für mich?" Ich war froh, dass ich nach 5 Tagen, diese Fragen wieder etwas weiter weg schieben konnte, aber seitdem gibt es immer wieder Momente, in denen ich daran denke..Diese 5 Tage waren so eine Art kleiner Vorgeschmack, auf das, was irgendwann sicherlich auf mich zukommen wird. Ob ich dadurch mein Leben nun bewusster wahrnehme und die schöneren Phasen intensiver geniesse, das weiss ich noch nicht..

Seit knapp zwei Wochen bin ich nun zu Hause, irgendwie ist es anders, als vorher..es liegt vielleicht auch daran, dass meine Mutter vorletzte Woche erneut einen Anfall hatte und diesem war es wohl ein Schlaganfall..und ich konnte nicht wirklich bei ihr sein, weil ich mich noch schonen musste, auch wenn die Wundheilung gut voran schreitet...aber es sieht wohl so aus, als müsste sie zumindest vorübergehend in eine Pflegeeinrichtung und sie hat wohl eine gewisse Ahnung davon und es war für mich schlimm, als sie gestern meine Hand nahm und nur gesagt hat "Bitte schick mich nicht in ein Heim, ich mach auch alles, was ich kann"..

Himmelherrgott das tat wirklich weh..auch wenn viele in meinem Umfeld sagen "Du musst auch an Dich denken, wenn es nun mal nicht anders geht.." Aber diese Frau war immer für mich da, fuhr jeden Tag bei Wind und Wetter mit dem Auto zu mir ins Krankenhaus, als ich Kind war, obwohl sie eine Heidenangst vorm Fahren hat..und ich steh jetzt vor der Entscheidung, sie "abgeben" zu müssen, solange der Mehraufwand in der häuslichen Pflege noch nicht geklärt ist..auch wenn ich im Moment keine andere Wahl habe, komme ich mir ziemlich schäbig vor, kann nicht für sie da sein, so wie sie es für mich war..Ich fühl mich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder richtig gelähmt und ich frage mich, ob ich mir damit nur selber leid tue oder ist es eher das Gefühl, irgendwie keine gute Tochter zu sein..warum ist eigentlich oft so, dass nicht nur eine Sache auf jemanden einprasselt, sondern sich gleich mehrere Baustellen auftun?

Möchte irgendwo, irgendjemand testen, inwieweit man emotional Multitasking fähig ist? Ich weiss nicht, ob ich es schaffe, das Vertrauen darauf fehlt mir im Moment..auch wenn ich bislang immer davon ausging, dass das Leben eigentlich eine Wellenbewegung ist und nach schlechten Zeiten auch wieder bessere kommen.. und auch schon Udo Jürgens in seinem Lied "Immer wieder geht die Sonne auf" schon gesungen hat, "die Dunkelheit für immer gibt es nicht"...vielleicht ist es auch vorgesehen, dass ich jetzt in dieser Phase bin, damit ich was Wichtiges lerne..ich weiss es einfach nicht...ich komme mir irgendwie vor, wie ein Schiff, dessen Steuerrad angekettet ist und mir nichts anderen übrigbleibt, als abzuwarten, wohin es geht..Spannung und Angst sind mit an Bord..die Zuversicht vielleicht auch, aber die ist wohl erstmal noch "blinder Passagier und hat sich irgendwo im Laderaum noch versteckt...

Okay, ich geh jetzt lieber ins Bett, bevor ich noch seekrank werde..

Gute Nacht...
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