Schatzkiste Seniorenheim
Okay über Bewohner eines Seniorenheims zu schreiben, darüber würde nahezu jeder Mitarbeiter eines Trendforschungsunternehmens, der dreimal wöchentlich beim Cardio-Spinning Kurs im Fitness-Studio seine Lungen auf links dreht und dann anschliessend den Luftblässchen-Brand mit einem lactosefreien Latte Macchiato ablöscht, mit dem Kopf schütteln.
Und vielleicht noch dazu gähnend abwinken, um zu unterstreichen, dass frisch brustenthaarte Grossstadt Basejumper oder acapulcoianische Klippenspringer in vielversprechenden anatomisch-strategisch-korrekt sitzenden Badehosen einfach viel mehr Interesse beim Lesen hergeben, als jetzt ein handelsübliches dementes Rollatorgeschwader in einer entsprechenden Sammeleinrichtung.
Das Leben im Seniorenheim ist nun mal ein Thema, welches viele jüngere sehr weit weg schieben, da dieser Ort wohl als letzte Station vor dem grossen Grundstück mit den vielen rechteckigen Erdaufschüttungen und den dazugehörigen Steinidentifikationsaufstellern angesehen wird.
Seniorenheime gelten gerne als Wartesaal für die letzte Reise und wenn man durch die Gänge läuft, begegnen einem oftmals menschliche Hüllen, die vor sich hin vegetieren und man sich kaum vorstellen kann, dass diese Menschen irgendwann mal vor langer Zeit noch mitten in einem aktiven Leben standen.
Aber dieser Eindruck entsteht hauptsächlich dann, wenn man sich kaum Zeit nimmt, sondern im Höchstfall einmal in der Woche zur Oma ins Heim hetzt ( mit einem Mitbringsel aus dem heimischen Wandergeschenk-Fundus versteht sich -meist ein Set von 4711 oder Tosca- jedenfalls etwas, das man selber geschenkt bekam und daher ein Heimbesuch die willkommene Möglichkeit bietet, es wieder loszuwerden.) , und sie dann mit einer Einheit Frischluft versorgt, indem man die demente Dame im AOK-Gefechtspanzer-Rollstuhl durch den neu angelegten Mini-Park im Schnelldurchgang schiebt, der zum Gedenken von irgendeinem Friedemann Posemuckel angelegt wurde.
Und nach einer knappen halben Stunde geht es wieder zurück in den Kukident-Zwinger...
okay, war jetzt ein wenig zynisch, aber seit meine Mum vor drei Wochen in Kurzzeitpflege kam, habe ich solche Boxenstopps des öfteren erlebt..vielleicht möchten viele mit Seniorenheimen nur deswegen nicht soviel zu tun haben, weil ihnen dort sehr deutlich gezeigt wird, dass das Leben endlich ist und dass ihnen bewusst wird, der Angehörige ist durch seinen stetigen körperlich und geistigen Abbau nicht mehr die Person, die man früher mal kannte.
Aber wenn man sich die Zeit nimmt, dann begegnet man Menschen die trotz Demenz, Schlaganfall und Alzheimer immer noch lebendig sind. Besonders bei Alzheimer-Betroffnenen frage ich mich , wie sieht deren Welt aus, welche Bilder laufen in ihren Köpfen ab, wenn sie fest davon überzeugt sind, dass verstorbene Familienmitglieder gleich zu Besuch kommen müssten. Für die übriggebliebenen Angehörigen ist das sicherlich sehr schwer zu verdauen und auch sehr befremdlich. Aber ich glaube, die Filme die bei erkrankten Menschen ablaufen, übertreffen jeden Hollywood-Blockbuster. Ist dann das Leben noch lebenswert? Ich glaube schon, auch wenn es schwer nachvollziehbar ist.
Da gibt es beispielsweise Siggi, er war mal vor über 50 Jahren ein sehr erfolgreicher Fussballer und hat in mehreren Erstliga-Clubs gespielt und jetzt dreht er jeden Tag seine Runden und weiss nicht, welchen Tag wir grade haben, aber sobald man ihn fragt, wie er denn sich auf das Training vorbereitet, dann strahlen plötzlich seine Augen und er beginnt munter und sehr begeisternd zu erzählen.
Oder Anneliese, die als Jugendliche übers zugefrorene Haff von Ostpreussen geflüchtet ist und immer wieder fragt, wann denn endlich ihre verstorbene Schwester von der Arbeit kommt, damit sie das Abendessen kochen kann, sie fängt an zu lächeln, wenn man sie um ein Rezept für einen Sonntagsbraten bittet, da vergisst sie keine Zutaten und selbst die passende Tischdeko hat sie im Kopf.
Oder Erna, die mit ihren 92 Jahren geistig noch voll fit ist, aber weil sie keine Familie mehr hat, wacht sie jeden Morgen mit einem Seufzer auf und sagt "so ein Mist, der Herrgott hat mich schon wieder vergessen"..eine der Pflegerinnen hat mir erzählt, dass sie bei ihrem täglichen Ausflug rund ums Heimgebäude auch mal die Strasse extra langsam überquert in der Hoffnung, dass sie von einem Auto überfahren wird.
Und dann gibt es noch Edgar, der wohl in jungen Jahren den Frauen sehr zugetan war, jedenfalls zwinkert er jeder Besucherin zu und hin und wieder lässt er seine guten Manieren im Schrank und "spendiert" der einen oder anderen weiblichen Pflegekraft einen Klapps auf die Kehrseite.
Warum also Seniorenheime meiden? Dort sind zwar Menschen, die nicht mehr so funktionieren, wie man es jahrzehntelang von ihnen gewohnt war, aber jede Falte in deren Gesichtern erzählt eine Geschichte und die lohnt es sich zu erfahren....und dazu braucht es auch keine 4711-Duftsets, einfach sich ein wenig Zeit nehmen und zuhören, wäre schade, wenn die Faltengeschichten unentdeckt verschwinden würden....
Gute Nacht...
vielleicht noch eine Ergänzung, auch wenn vielleicht dieser Eintrag den Eindruck erweckt, dass ich mit der Heimsituation gut zurecht käme, ist es für mich jedesmal so, dass ein Besuch bei meiner Mum mir schon sehr wehtut, weil mir bewusst wird, es wird sich nicht bessern, sondern stetig verschlimmern und die Frau, die mal meine beschützende, vor Kraft strotzende Mutter war, die gibt es nicht mehr...und so sehr ich auch den Wunsch habe, Zeiger bauen zu können, die die Zeit zurück in unbeschwertere Momente zurückdrehen, das ist vorbei..und eine Angst davor, was noch alles auf mich zukommen wird, kann ich nicht leugnen, aber wenn ich diese Faltengeschichten von anderen im Heim mitbekomme, dann gibt es mir Kraft und auch ein klein wenig Ablenkung und darüber bin ich sehr dankbar. Und ich möchte auch niemanden verurteilen, der nicht die Kraft aufbringt, seinen Angehörigen bis zum Schluss zu begleiten, denn nicht nur das Altwerden ist nichts für Feiglinge, sondern auch das "da sein" für jemand..und ich kann für mich nicht sagen, ob ich das weiterhin kann, ich hoffe es einfach nur...
Und vielleicht noch dazu gähnend abwinken, um zu unterstreichen, dass frisch brustenthaarte Grossstadt Basejumper oder acapulcoianische Klippenspringer in vielversprechenden anatomisch-strategisch-korrekt sitzenden Badehosen einfach viel mehr Interesse beim Lesen hergeben, als jetzt ein handelsübliches dementes Rollatorgeschwader in einer entsprechenden Sammeleinrichtung.
Das Leben im Seniorenheim ist nun mal ein Thema, welches viele jüngere sehr weit weg schieben, da dieser Ort wohl als letzte Station vor dem grossen Grundstück mit den vielen rechteckigen Erdaufschüttungen und den dazugehörigen Steinidentifikationsaufstellern angesehen wird.
Seniorenheime gelten gerne als Wartesaal für die letzte Reise und wenn man durch die Gänge läuft, begegnen einem oftmals menschliche Hüllen, die vor sich hin vegetieren und man sich kaum vorstellen kann, dass diese Menschen irgendwann mal vor langer Zeit noch mitten in einem aktiven Leben standen.
Aber dieser Eindruck entsteht hauptsächlich dann, wenn man sich kaum Zeit nimmt, sondern im Höchstfall einmal in der Woche zur Oma ins Heim hetzt ( mit einem Mitbringsel aus dem heimischen Wandergeschenk-Fundus versteht sich -meist ein Set von 4711 oder Tosca- jedenfalls etwas, das man selber geschenkt bekam und daher ein Heimbesuch die willkommene Möglichkeit bietet, es wieder loszuwerden.) , und sie dann mit einer Einheit Frischluft versorgt, indem man die demente Dame im AOK-Gefechtspanzer-Rollstuhl durch den neu angelegten Mini-Park im Schnelldurchgang schiebt, der zum Gedenken von irgendeinem Friedemann Posemuckel angelegt wurde.
Und nach einer knappen halben Stunde geht es wieder zurück in den Kukident-Zwinger...
okay, war jetzt ein wenig zynisch, aber seit meine Mum vor drei Wochen in Kurzzeitpflege kam, habe ich solche Boxenstopps des öfteren erlebt..vielleicht möchten viele mit Seniorenheimen nur deswegen nicht soviel zu tun haben, weil ihnen dort sehr deutlich gezeigt wird, dass das Leben endlich ist und dass ihnen bewusst wird, der Angehörige ist durch seinen stetigen körperlich und geistigen Abbau nicht mehr die Person, die man früher mal kannte.
Aber wenn man sich die Zeit nimmt, dann begegnet man Menschen die trotz Demenz, Schlaganfall und Alzheimer immer noch lebendig sind. Besonders bei Alzheimer-Betroffnenen frage ich mich , wie sieht deren Welt aus, welche Bilder laufen in ihren Köpfen ab, wenn sie fest davon überzeugt sind, dass verstorbene Familienmitglieder gleich zu Besuch kommen müssten. Für die übriggebliebenen Angehörigen ist das sicherlich sehr schwer zu verdauen und auch sehr befremdlich. Aber ich glaube, die Filme die bei erkrankten Menschen ablaufen, übertreffen jeden Hollywood-Blockbuster. Ist dann das Leben noch lebenswert? Ich glaube schon, auch wenn es schwer nachvollziehbar ist.
Da gibt es beispielsweise Siggi, er war mal vor über 50 Jahren ein sehr erfolgreicher Fussballer und hat in mehreren Erstliga-Clubs gespielt und jetzt dreht er jeden Tag seine Runden und weiss nicht, welchen Tag wir grade haben, aber sobald man ihn fragt, wie er denn sich auf das Training vorbereitet, dann strahlen plötzlich seine Augen und er beginnt munter und sehr begeisternd zu erzählen.
Oder Anneliese, die als Jugendliche übers zugefrorene Haff von Ostpreussen geflüchtet ist und immer wieder fragt, wann denn endlich ihre verstorbene Schwester von der Arbeit kommt, damit sie das Abendessen kochen kann, sie fängt an zu lächeln, wenn man sie um ein Rezept für einen Sonntagsbraten bittet, da vergisst sie keine Zutaten und selbst die passende Tischdeko hat sie im Kopf.
Oder Erna, die mit ihren 92 Jahren geistig noch voll fit ist, aber weil sie keine Familie mehr hat, wacht sie jeden Morgen mit einem Seufzer auf und sagt "so ein Mist, der Herrgott hat mich schon wieder vergessen"..eine der Pflegerinnen hat mir erzählt, dass sie bei ihrem täglichen Ausflug rund ums Heimgebäude auch mal die Strasse extra langsam überquert in der Hoffnung, dass sie von einem Auto überfahren wird.
Und dann gibt es noch Edgar, der wohl in jungen Jahren den Frauen sehr zugetan war, jedenfalls zwinkert er jeder Besucherin zu und hin und wieder lässt er seine guten Manieren im Schrank und "spendiert" der einen oder anderen weiblichen Pflegekraft einen Klapps auf die Kehrseite.
Warum also Seniorenheime meiden? Dort sind zwar Menschen, die nicht mehr so funktionieren, wie man es jahrzehntelang von ihnen gewohnt war, aber jede Falte in deren Gesichtern erzählt eine Geschichte und die lohnt es sich zu erfahren....und dazu braucht es auch keine 4711-Duftsets, einfach sich ein wenig Zeit nehmen und zuhören, wäre schade, wenn die Faltengeschichten unentdeckt verschwinden würden....
Gute Nacht...
vielleicht noch eine Ergänzung, auch wenn vielleicht dieser Eintrag den Eindruck erweckt, dass ich mit der Heimsituation gut zurecht käme, ist es für mich jedesmal so, dass ein Besuch bei meiner Mum mir schon sehr wehtut, weil mir bewusst wird, es wird sich nicht bessern, sondern stetig verschlimmern und die Frau, die mal meine beschützende, vor Kraft strotzende Mutter war, die gibt es nicht mehr...und so sehr ich auch den Wunsch habe, Zeiger bauen zu können, die die Zeit zurück in unbeschwertere Momente zurückdrehen, das ist vorbei..und eine Angst davor, was noch alles auf mich zukommen wird, kann ich nicht leugnen, aber wenn ich diese Faltengeschichten von anderen im Heim mitbekomme, dann gibt es mir Kraft und auch ein klein wenig Ablenkung und darüber bin ich sehr dankbar. Und ich möchte auch niemanden verurteilen, der nicht die Kraft aufbringt, seinen Angehörigen bis zum Schluss zu begleiten, denn nicht nur das Altwerden ist nichts für Feiglinge, sondern auch das "da sein" für jemand..und ich kann für mich nicht sagen, ob ich das weiterhin kann, ich hoffe es einfach nur...
zwei-cent-senfglas - 20. Apr, 00:55
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