6
Mai
2014

Bedienungsanleitung, die Zweite

Nochmal ein paar Gedanken, bzw. Erfahrungen einer Rollstuhlfahrerin mit "Fussgängern" ( laut Senfglas-Duden sind das Nichtbehinderte ).

Es passiert mir immer wieder, dass ich relativ schnell mit "wildfremden" Menschen ( warum heisst es eigentlich wild? Denn es rennt ja niemand mit Schaum vor dem Mund, Haare raufend und Zähne fletschend durch den Supermarkt, ausser an den Aktionstagen bei Aldi) ins Gespräch komme. Und innerhalb kürzester Zeit weiss ich dann fast die ganze Lebensgeschichte.
Aber meist sind es nie Geschichten, die schön sind, sondern oftmals sehr schmerzhafte Erlebnisse. Ich glaube, es liegt vielleicht auch daran, dass der Rollstuhl ein wenig das Gefühl suggeriert "Hey, die leidet ja unter Umständen auch, die versteht mich vielleicht". Es kann aber auch sein, dass ich meist mit einem Lächeln in der Gegend herumsause und mich deswegen, Menschen ansprechen.

Liegt jetzt aber nicht primär daran, dass ich alle Menschen pauschal mag ( wobei ich den Herren Schröder, Ströbele oder Mappus jetzt nicht unbedingt eine Einladung für mein nächstes BBQ schicken würde ), sondern weil ich mal gelesen habe, dass man sich, wenn man unterwegs ist, sich vorstellen soll, dass jeder, dem man begegnet in einen verliebt ist, egal ob Mann, Frau oder Kind. Klingt jetzt erst mal seltsam, ich weiss, aber seit ich damit begonnen habe, mache ich wirklich nette Bekanntschaften UND!!! ich bekomme sehr viel geschenkt.

Jetzt nicht nur Liebe und Wärme ( wir sind ja jetzt nicht bei Rosamunde Pilcher ) sondern Pröbchen, Täschchen, oder darf mich an manchen Lebensmitteltheken durchfuttern, was anderen Fussgängern dort verwehrt bleibt. Also ist der Rollstuhl nicht immer "behindernd", sondern auch mal ein "VIP-Backstage-Pass" ;-)

Ja, ich weiss, bin ja jetzt etwas opportun und materialistisch.
Aber es ist oftmals so, dass ich das Gefühl habe, dass "uns Behinderten" nicht zugetraut wird, dass wir auch mal frech sein können, weil wir zu sehr mit Leiden beschäftig sind und "wir" daher auf ein Podest gestellt werden. Dem ist aber nicht wirklich so.

Es gibt das eine oder andere Behindertenforum und dort geht es manchmal zu, wie in Afghanistan..sehr viele verbale Minenfelder, Verständnis und Solidarität sind dort des öfteren in Urlaub. ;-)
Das verbale Borstenvieh in die Freiheit lassen, ist da meist eher Tagesordnung...

Naja damit meine ich, dass der Inklusion / Integrationsgedanke manchmal den Anschein erweckt, als hätte man eine verklärte Vorstellung von Behinderten. ( Ja, ich weiss, es heisst ja jetzt Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, aber mit meinem Rolli mach ich jetzt wesentlich mehr Kilometer, als damals vor zwanzig Jahren, als ich selber noch Fussgängerin war, so gesehen habe ich jetzt keine Mobilitätseinschränkung mehr und Laufen wird eh überbewertet ;-) ) Und zwar eine Vorstellung, die besagt, dass man sich um "uns" kümmern" sollte, weil es wir selber nicht auf die Reihe bekommen.

Das ist wirklich gut gemeint und im Vergleich zu vielen anderen Ländern auf diesem Planeten, geht es den Behinderten in Deutschland echt gut, was das soziale,barrierefreie Netz anbelangt. Versuch mal in Bogotá auf die schnelle eine Behindertentoilette zu finden..;-)..
Aber ich finde, dass Behinderte grade bei solch wichtigen Entscheidungen zu selten miteinbezogen werden. Letztens kam eine Podiumsdiskussion im dritten Programm zum Thema Inklusion in Regelschulen. Da waren sehr wichtige und kompetente Menschen anwesend, aber kein einziger Behinderter. Das wäre dann so, dass sich lauter Metzger auf einem Konditorensymposium treffen würden und dort Regelungen für die Konditorenzunft festlegen. Denn ein Metzger weiss sicherlich, wie eine Torte aussieht, aber um sie herzustellen, müsste er einige YouTube Tutorial-Clips ankucken...;-)

Okay..aber zum Schluss noch mal etwas Heiteres in Sachen Erfahrungen, wenn ich also mit Fussgängern ins Gespräch komme, dann kommt dann meist die Frage "ich hab übrigens auch eine Bekannte in Hamburg ( oder einer anderen Stadt in D ) , die auch im Rollstuhl sitzt, kennen Sie die?"
Dann muss ich dann leider Aufklärungsarbeit leisten und sagen, dass ich zu Hause kein Computersystem habe, welches mich mit allen Behinderten weltweit vernetzt, ein Brillenträger kennt ja auch nicht alle anderen Nasenfahrradbesitzer..;-)..

Oder aber, wenn gefragt wird, wenn ich denn mal einen Freund habe, ob dieser dann auch behindert ist, ich aber dann verneine, als Antwort ein verwundertes "Oh" kommt. Wir Behinderten haben jetzt nicht, wie bei "Bauer sucht Frau", ein regelmässiges Scheunenfest, auf dem es dann zugeht, wie auf einem gehandicappten Heiratsmarkt..

Es gibt durchaus Fussgänger, die an Behinderten näher interessiert sind, natürlich sind da auch welche dabei, die solche Kontakte eher heimlich pflegen, weil sie denken, sie können dies vielleicht nicht ihren Familien und Freunden "antun", aber ich bin ja als Behinderte nicht in einer Zwangsopferrolle ( obwohl es bei manchen den Anschein hat, aber das dann deren persönliche Einstellung ) und muss dann nicht entsprechenden Inkognito-Dates zustimmen.
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