10
Mai
2015

Was mir in den Sinn kommt

Okay , jetzt ist es kurz nach eins in der Nacht und ich lasse so meine Gedanken streifen..In letzter Zeit resümiere ich ganz gerne über mein bisheriges Leben..Liegt vielleicht daran, dass eben im Moment sehr vieles im Umbruch ist. Veränderungen treten auf, unbeschwerte Momente sind derzeit nicht so reichlich und aus diesem Grund ziehe ich ganz gerne Bilanz über das, was ich bislang so erlebt habe..

Ich habe mich bespeilsweise schon recht früh mit dem Tod beschäftigt. Ich war ungefähr 4 oder 5 Jahre alt, da fand ich eine tote Amsel im Garten. Und zu der Zeit war ich stark geprägt durch den strengen katholischen Glauben meiner Mutter ( Daddy war eher so der Agnostiker, lag aber auch daran, dass er von seinem Vater wiederum regelmässig nach dem sonntäglichen Gottesdienst verprügelt wurde, er hat einfach die Wut über sein beschissenes Leben, weit abgelegen in einem bayerischen Dorf mit Frau und 8 Kindern, freien Lauf gelassen, in dem er seine beiden ältesten in beständiger Regelmässigkeit züchtigte, kein Vergleich zur idyllischen Heimatfilmromantik, die zur der damaligen Zeit im Kino propagiert wurde, deswegen hatte mein Vater bis kurz vor seinem Tod ein sehr gespanntes Verhältnis zur Kirche..)...aber nun zurück zum Amsel-Experiment.

Ich wusste aus den sprichwörtlich gebetsmühlenartigen Erzählungen meiner Mutter, dass nach dem Tod, der Mensch in den Himmel kommt.

Okay und so als handelsübliche 4jährige ging ich dann wortwörtlich davon aus, dass man mit Haut und Haaren "nach oben" fährt..

Also war die tote Amsel ein ideales Versuchsobjekt, um zu überprüfen, ob das stimmt..ich konnte ja schlecht in die Pathologie des örtlichen Krankenhauses und eine echte Leiche "ausleihen", daher blieb mir nur die Amsel.

Ich begrub sie - für meine damaligen Begriffe - recht standesgemäss mit Blüten und Laub und einem kleinen Gebet. Dann habe ich drei Tage gewartet, weil ich mich erinnert habe, dass die Bethlemer Stallgeburt nach seiner Kreuzigung am dritten Tage in den Himmel aufgefahren ist..

Nach dieser Wartezeit, öffnete ich dann das Amselgrab..und da kamen mir die ersten Zweifel mit dieser "dritten-Tage-Auferstehungsnummer"..denn der Vogel war gar nicht weg, im Gegenteil, er hatte inzwischen madige Untermieter bekommen..

Okay, dachte ich, irgendwas ist da mächtig faul und ich meinte nicht den Geruch, den der Amselmann umgab, gibt es da überhaupt sowas, wie eine Auferstehung? Oder werden die Schäfchen da nur mächtig verscheissert, bzw vertröstet, um nicht im dieseitigen Leben aufzumucken, sondern schön den Gottestdienst besuchen und dabei fleissig den herumwandernden Beutel zum klinge(l)n zu bringen?

Und dann gab es noch die Geschichte mit der Hostie während der Messe, es wurde ja dabei immer gesagt, wer davon ist, wird ewig Leben..Nun, als 4jährige verstehst Du den übertragenen Sinn dahinter nicht, stattdessen gehst Du davon aus, dass man im wahrsten Sinne des Wortes unsterblich wird, wenn man diesen dünnen Waffelkeks isst...

Und bis zu meiner Kommunion ( da bekommt man ja die Hostie zum ersten Mal ) habe ich die Zeit damit überbrückt, in dem ich meiner Mutter kurz vor Weihnachten eine Packung Oblaten geklaut habe und heimlich in meinem Zimmer schon mal vom "ewigen Leben" futterte, stellte ich mir zumindest dabei vor....Aber mir war irgendwie damals schon klar, dass Supermarkt-Oblaten wohl nicht dafür sorgen würden, dass ich nie werde ins Gras beissen müssen, stattdessen klebten diese runden Plättchen einfach nur am Gaumen fest, aber "Highlander-unsterblich-mässig fühlte ich mich nicht..mir wurde nur irgendwann übel, war aber nicht verwunderlich, nach 50 Stk "ewiges Leben" aus dem Discounter.

Meine Teenagerzeit war schon recht turbulent, ich war ziemlich rebellisch und habe auch recht früh begonnen, mich für Jungs zu interessieren..Obwohl das nicht so einfach war, weil meine Behinderung schon nicht grade dafür gesorgt hat, dass ich jetzt als Objekt der Begierde beim anderen Geschlecht galt..

Nichtsdestotrotz hatte ich meinen ersten Sex mit 15 Jahren. Er war gleichaltrig und auch irgendwie ein Aussenseiter ( alleinerziehende Mutter, 50 % Migrationshintergrund und schweigsamer als ein Goldfisch ), aber ich fand ihn toll, war total verliebt und das hatte mich so beflügelt, dass ich ganz cool in den örtlichen Drogeriemarkt ging und eine Packung Kondome kaufte, als die Verkäuferin mich sah, machte sie grosse Augen, wie als ob sie gedacht hatte "also so eine hat etwas Sex?"..ich grinste nur vielsagend und zwinkerte beim Bezahlen..

In dem Punkt fühlte ich mich als ganz normaler Teenager, der seine ersten Erfahrungen sammeln wollte und auch konnte..Die gingen allerdings weiter, als es mir lieb war, denn knapp 4 Monate nach dem ersten Treffen, musste ich in die Apotheke und kaufte meinen ersten und einzigen Schwangerschaftstest..Das war notwendig, weil meine Mutter sich vehement weigerte, dass ich die Pille nehmen durfte, sie ging irgendwie davon aus, dass ich A) sowieso keinen Sex habe als Behinderte und B) man ja nur nachts miteinander schläft..Also habe ich den Schwangerschaftstest bewusst im Zimmer offen liegenlassen und schon nach zwei Wochen hatte ich dann die Pille, allerdings aber dann auch das Verbot, mich mit Jungs am nachmittag zu verabreden..Die Frau lernte schnell..

Aber das hielt mich nicht davon, weiter Erfahrungen zu sammeln..ich entwickelte logistisch ausgeklügelte Pläne, weiterhin "Dr. Sommer Szenen" live nachspielen zu können..Jungs rumzukriegen, trotz meines Handicaps, sah ich mehr und mehr als sportlichen Ehrgeiz an..ich hatte zwar schon romantische Vorstellungen, aber die beinhalteten nicht den Gedanken, dass ich mich für immer und ewig an ein und denselben Jungen antackern wollte..Ich wollte einfach Spass haben und den hatte ich, auch wenn dabei mein Ruf etwas Risse bekam, aber mir war das egal..wenn andere Mädchen in meinem Alter Frust schoben, weil der Auserwählte sich nicht so verhielt, wie man es sich schmalzig romantisch in Schreibheften nebst einer Armada von gekritzelten Kuliherzen vorgestellt hat, lebte ich nach der Devise, "andere Mütter haben auch schöne Söhne"..

Und ich hatte wirklich bis dato ganz tolle Jungs, und später dann auch Männer..Sie waren allesamt sehr kreativ und einfallsreich, um mir zu gefallen, so kam ich dann oft in den Genuss, von Zuwendungen, die vielleicht vielen anderen meiner Geschlechtsgenossinnen verwehrt blieb. Egal ob es nun Gedichte, Lieder, oder besondere Einladungen ( Rundflüge, Spontanurlaube ). Meine Behinderung war und ist eigentlich nie im Mittelpunkt gestanden, oder war ein grosses Problem..Nur eben zu Beginn der Teenagerzeit, aber das konnte ich schon verschmerzen..

Vielleicht war es deswegen nie ein Problem, weil meine Behinderung nie als Hinderungsgrund ansah, Männer kennzulernen.
Allerdings war in anderen Bereichen mein Handicap durchaus schon mal ein Problem, besonders im Hinblick auf die eigene Erwartungshaltung. Ich wollte nie scheitern oder mich als schwach zeigen, schon gar nicht in Bezug auf mein Handicap.
Stattdessen habe ich sie über Jahrzehnte nicht in den Mittelpunkt gestellt, eher sogar verdrängt, weil sie auch nie Thema in der Familie war..

Aber jetzt ist es ein Thema, seit ich gesundheitlich und seelisch durch äussere Umstände damit konfrontiert werde und ich merke dabei besonders, dass meine Familie damit besonders grosse Probleme hat..Ein enges Mitglied hat sich deswegen auch komplett abgewendet, als sie sah, dass meine mentale und körperliche Stärke langsam zurückging und ich mich mehr und mehr überfordert fühlte mit den gegebenen Situationen und ich das zum ersten Mal auch zur Sprache brachte und eben nicht - wie all die Jahrzehnte davor - so tat, als könnte mich nichts aus der Bahn werfen...

Es tat zwar sehr weh, festzustellen, dass dieses Mitglied nichts mehr mit mir zu tun haben wollte, aber auf der anderen Seite, habe ich mehr zu mir gefunden, als ich anfing, mir Schwächen einzugestehen..aber damit kam besonders dieses Familienmitglied nicht kalr, weil sie mich bislang noch nie so erlebt hat, da ich eigentlich immer diejenige war, die motiviert und aufgebaut hat und dabei Sicherheit und Stärke ausstrahlte..

Ich verurteile sie nicht, vielleicht würde ich auch handeln, wäre ich an ihrer Stelle..aber, und auch wenn das mal wieder ziemlich pathetisch klingt..

alles was Du im Leben weit von Dir wegschiebst, mit dem wirst Du irgendwann einmal sehr intensiv zu tun haben.
Und ich bin mir ziemlich sicher, dass es ihr eines Tages genauso ergehen wird. Weglaufen und die Augen verschliessen, das geht vielleicht eine Weile gut, aber irgendwann trifft es dich und zwar heftig..In dieser Situation bin ich gerade volle Kanne drin..Ich muss jetzt meine Behinderung für mich thematisieren.

.nicht weil ich es wollte, sondern weil ich es durch körperliche und familiäre Umstände tun muss..Ich hab momentan so inständig immer wieder den Wunsch, mit dem Finger zu schnippen, und die kommenden Tage, Wochen und Monate mit Worp-geschwindigkeit hinter mich zu bringen, aber das können die nur auf der Enterprise..Hier auf der Erde muss ich dadurch...Und ich hoffe, dass ich in absehbarer Zeit in Web-Logbuch schreiben kann "wisst Ihr noch damals, als ich mitten in der Scheisse war und nicht wusste, wie ich das durchstehen sollte, aber ich habe es dann doch irgendwann auf die Reihe bekommen" ( Capt. Kirk hätte das wahrscheinlich eleganter formuliert, aber ich bin nun mal kein Raumschiff-Kapitän )

Okay es ist gleich drei Uhr...ich beame mich mal ins Schlafzimmer..

Gute Nacht..
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